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  Thomas Lauck – expansiver Geist, konzentrierter Musiker
  Die persönlichen Begegnungen mit dem am 15. Mai 1943 im elsässischen Straßburg geborenen 
  Komponisten Thomas Lauck geben immer Aufschluss über seine außergewöhnliche Musiker-
  Biographie, vor allem aber künden sie von der enormen Vielschichtigkeit und dem erstaunlichen 
  Assoziationsreichtum seiner künstlerischen Arbeit. Die oftmals berauschende Eloquenz, mit der er 
  im Gespräch – immer wieder andere Wege nehmend, mitunter auch überraschende Volten 
  schlagend – die gesamte abendländische Kulturgeschichte mit ihren wichtigen Hervorbringungen 
  in Literatur, bildender Kunst und Musik durchmisst, die herzliche, ja fast überbordende Hingabe, 
  mit der er auf die ihn umgebende Natur, auf Menschen und ihre Geschichte(n), auf die Kunst 
  eigener und fremder Kulturen reagiert, bilden oberflächlich betrachtet durchaus einen Kontrast zu 
  seiner Kunst, seiner Musik. 
  Denn diese nimmt sich in hohem Maße zurück, lässt den Klang in äußerster Behutsamkeit aus 
  der Stille entstehen, bietet jedem kompositorischen Detail allergrößte Aufmerksamkeit. Sie 
  entfaltet das musikalische Geschehen mit allergrößter Ruhe, mitunter in geradezu meditativ 
  gestimmter Gelassenheit. Lauck sublimiert die Aufregungen und die Dramen des äußeren Lebens 
  in kleinste Gesten hinein, entwickelt daraus einen äußerst konzentrierten klanglichen Diskurs, in 
  dem jeder Augenblick zählt, alles auf den Punkt gebracht ist. Entsprechend groß ist die 
  Herausforderung für die mitgestaltenden Musiker, den wach die Musik mitvollziehenden Zuhörer. 
  So expansiv der Geist Laucks sich im Gespräch immer wieder offenbart, so sehr fokussiert er mit 
  seiner Musik auf die konzentrierte Geste, die kleine Form, den intimen Raum. Lauck bedient sich 
  fast durchweg kleiner Besetzungen (so auch in seinen Schlagzeugkompositionen eines 
  überschaubaren Instrumentariums) und er gestaltet seine Klanglandschaften für die kleinen 
  Räume des heutigen Konzertlebens. Die Eroberung der Domänen großbesetzter Orchester- und 
  Chormusik, raumgreifenden Musiktheaters standen für ihn nie im Vordergrund. Und damit ist er 
  vielleicht auch als Vorreiter der auch bei jungen Komponisten verstärkt anzutreffenden Tendenz 
  anzusehen, die unter immer größerem ökonomischen Legitimationsdruck stehenden und sich 
  dadurch musealisierenden bzw. kulinarisierenden Programme großer Musikinstitutionen für die 
  eigene künstlerische Arbeit eher „links liegen zu lassen”. Künstlerisch fällt das „Gelingen im 
  Kleinen” schließlich nicht weniger ins Gewicht als das „Gelingen im Großen”, zumal letzteres allzu 
  oft mit (der Kunst abträglichen) Konzessionen in aufführungspraktischer und ästhetischer Hinsicht 
  verbunden ist. 
  Wie fruchtbar solche künstlerische Arbeit „im kleinen Rahmen” sein kann, welch beglückender 
  musikalischer Reichtum jenseits breit ausgetretener Pfade im Falle Laucks entstehen konnte, 
  dokumentiert eine soeben beim Label telos music erschienene Box mit vier CDs (telos music TLS 
  170), auf der 23 seiner Werke in hervorragenden Einspielungen dokumentiert sind. Wahrnehmbar 
  werden damit auch die über viele Jahre gewachsenen Beziehungen Laucks zu einer stetig 
  wachsenden Schar hochkarätiger Musiker, darunter international erfolgreiche Musiker wie der 
  Schlagzeuger Isao Nakamura, die Sopranistin Petra Hoffmann, der Pianist Jürg Henneberger, der 
  Fagottist Wolfgang Rüdiger, der Posaunist Dirk Amrein, aber auch aufstrebende Talente wie die 
  Cellistin Isabel Gehweiler, der Kontrabassist Aleksander Gabrys oder der Cembalist Bobby 
  Mitchell. 
  Zu Laucks 70. Geburtstag kam es im Baseler Tinguely-Museum am 28. und 29. Mai 2013 zu zwei 
  Konzerten, die erstmals zwei neue Kompositionen zu Gehör brachten: "...der Augenblick I, II, III" 
  (2013), ein Duo für Sopran-/Baritonsaxophon und Kornett/Helikon mit jeweils sieben 
  Schlaginstrumenten und "Meta-Obsession. Ein Versuch einer musikalischen Annäherung an Jean 
  Tinguely" (2013) für zwei Musiker mit fünf Blechblasinstrumenten bzw. vier Saxophone. Die hier 
  als Multi-Instrumentalisten auftretenden Interpreten sind Dirk Amrein und Remo Schnyder. 
  Dirk Amrein gab darüber hinaus bereits am 26. Mai im Trompeter-Museum in Bad Säckingen 
  einen Soloabend mit Werken von Thomas Lauck und seinem Lehrer Albert Mangelsdorff. Nach 
  Voraufführungen in der Galerie des bildenden Künstlers Jürgen Brodwolf im vergangenen März 
  kam es in diesem Rahmen zu den öffentlichen Uraufführungen zweier weiterer Werke aus der 
  Werkstatt Laucks: das Jürgen Brodwolf gewidmete Solo für fünf Blechblasinstrumente 
  (Piccolotrompete, Kornett, Bassflügelhorn, Posaune und Helikon) mit dem Titel "Obsession" 
  (2012), und "Pour les oiseaux" (2012) für Helikon. 
  Michael Zwenzner